Vom Aikijūjutsu bis zum Aikido

Technische Aspekte

1 Aizu

Das Daimyat Aizu (会津藩, Aizuhan) gehörte zu den mittelgrossen Lehen in der Edō-Zeit. In der Meiji-Restauration stellte es sich auf die Seite des Shōgun und wurde im Boshin-Krieg (1868–1869) besiegt. Die Burg Aizu-Wakamatsu (会津若松城) wurde dann 1874 zerstört und erst 1965 wieder in Betonbauweise als Museum rekonstruiert. Im Zuge der Auflösung aller Lehen im Jahre 1876 wurde Aizuhan ein Teil der neuen Präfektur Fukushima.

Das Aizuhan war die Heimat des Aikijūjutsu der Takeda-Ryū.

2 Daitōryū Aikijūjutsu

Nach Takeda Tokimune (1916–1993), dem Nachfolger von Takeda Sokaku, hat sich das Daitōryū Aikijūjutsu in verschiedene Linien aufgeteilt. Darunter Takumakai (Gruppe von 2023) und Daitōryū (Gruppe von 2024). Kondō Sensei (*1945) vom Daitōryū hatte zunächst mit Aikido begonnen und wurde später direkter Schüler und Nachfolger von Takeda Tokimune.
Das Video zeigt einige charakteristische Ausschnitte aus den jeweiligen Vorführungen bei den Nihon Kōbudō Enbukai. Offensichtlich wird Wert darauf gelegt, die Bösewichte am Ende gut zu verknoten. In manchen Aikidostilen haben sich einige der hier gezeigten Verhebelungstechniken wie z.B. jūji garami bis heute erhalten.

3 Am Hofe

Vor Takeda Sokaku wurden die Aikijūjutsu Techniken nur wenigen Samurai und Bediensteten am Hofe von Aizu unterrichtet. Sie dienten tatsächlich in erster Linie zur Selbstverteidigung am Hofe. Deswegen gibt es z.B. viele Techniken im Sitzen (suwariwaza). Um ihre Wirksamkeit zu erhalten, wurden sie in diesem kleinen Kreis der Familie geheim gehalten und durften nicht an andere Personen weitergegeben werden.
Das Video zeigt einen Ausschnitt aus der Fernsehserie "Shōgun" von 1980, die im Original 10 Folgen zu je 60 Minuten umfasst. Der englische Navigator (Anjin-san), welcher in der Zwischenzeit zum Samurai geadelt worden war, überbringt der Dame Ochiba, Gattin des Fürsten Ishido Kazunari (eine Anspielung auf Tokugawa Ieyasu), auf Schloss Osaka seine Glückwünsche zu ihrem Geburtstag.
Im einem solchen Ambiente am Hofe sollten die Aikijūjutsu Techniken etwaige Störenfriede oder Übeltäter neutralisieren.

4 Vermittlung der Techniken

Meister Nocquet erzählte, dass Ueshiba Morihei bei Takeda Sokaku maximal 5 Minuten Unterricht am Tage geniessen durfte. Die andere Zeit musste er für seinen Meister arbeiten. Takeda Sokaku unterrichtete nur Einzelpersonen und protokollierte alles schriftlich. Diese Aufzeichnungen sind grossteils erhalten. Jede Technik kostete einzeln, Takeda Sokaku musste ja von irgendetwas leben, denn die Vollversorgung der Samurai durch ihre Herren war im Zuge der Meiji Restauration abgeschafft worden. Später gab es deswegen auch Reibereien mit Ueshiba Morihei, der als Franchise Unternehmer seine Schüler in Gruppen unterrichtete, dadurch weniger Einnahmen hatte und auch weniger abführen wollte.
Meister Kondō erzählt von Takeda Sokaku, dass dieser aus Prinzip jede Technik nur ein Mal zeigte und auch nicht gross erklärte. Das war sein Geschäftsprinzip. Die Schüler mussten sich die Techniken selbst erarbeiten. Takeda Tokimune riet Kondō, keine echten Techniken zu unterrichten. Ein Schüler könne sie aufschnappen, am nächsten Tag die Schule verlassen und dann die "geheimen" Techniken öffentlich verbreiten. Ein anderer Grund sei, dass es unter tausend Schülern jeweils nur einen wirklich fähigen gebe.

5 Taigi 18 Ushirowaza

Ein Beispiel für die Realisierung der Techniken im Aikido von Tohei Sensei: Die Aufnahme stammt wohl aus der Zeit um 1980. Sie ist untertitelt mit "Shihan Yoshigasaki Kenjiro" (師範 吉ヶ崎健二郎).
Zu dieser Zeit war die Art der Ausführung der Techniken in den Taigi (Vorläufer der heutigen Tsuzukiwaza) sehr genau geregelt. Die Bewegungen sind rhythmisch, kraftvoll und sehr entschieden, fast ein wenig schematisch.

体技 第十八 後ろ技 (72 sec)
1. 呼吸投げ (羽交い締め) - Kokyūnage (hagaijime)
2. 後ろ肩取り呼吸投げ (飛行機投げ) - Ushiro katadori kokyūnage (hikōki nage)
3. 後ろ肩取り呼吸投げ (すい込み) - Ushiro katadori kokyūnage (suikomi)
4. 後ろ肩取り呼吸投げ (前方投げ) - Ushiro katadori kokyūnage (zenpōnage)
5. 後ろ片手取り首締め (裏返し) - Ushiro katatedori kubijime (uragaeshi)
6. 後ろ片手取り首締め (前方投げ) - Ushiro katatedori kubijime (zenpōnage)

6 Warum klar definierte Techniken ?

Übersetzung der Taigiliste vom Aikido-Club der Waseda Universität:

Liste der Taigi

Diese Liste gliedert Shinshin Toitsu Aikido in 30 Taigi. Sie wurde offenbar so zusammengestellt, um den technischen Verfall im Laufe der Zeit zu minimieren. Wir verwenden diese Liste für unsere Auftritte bei Taigi-Wettbewerben und beim Waseda-Festival. Wir verwenden sie auch für unsere Willkommensvorführungen. So können Sie unsere Techniken besser verstehen.
Für jede Taigi ist die Anzahl der Sekunden angegeben. Es heisst, dass eine Taigi idealerweise in dieser Zeitspanne abgeschlossen wird, wenn man einen ruhigen Geist bewahrt, sich vom Einem Punkt aus bewegt, angemessene Geschwindigkeit und Rhythmus einhält und jede Technik mit ausreichend Energie ausführt. Tatsächlich scheinen die Taigi jeweils diese Zeitspanne zu dauern.
Mit anderen Worten:
"Die Taigi dienen dazu, um das technische Niveau in der Zukunft zu erhalten."

Fazit

Aikido basiert technisch auf dem Aikijūjutsu, welches Takeda Sokaku unterrichtet hat.
Dessen Techniken waren für die Selbstverteidigung am Hofe gedacht. Nicht nur für die Samurai, sondern auch für die Frauen und die Bediensteten. Daher ist z.B. der alleinige Bezug auf die Samurai im Aikido historisch nicht korrekt.
Die meisten Angriffe im Aikido stellen also mögliche Situationen am Hofe dar. Besonders die Fassangriffe (katatedori, ryotedori, katadori ...) oder auch Schläge mit nackter Hand (shomenuchi, yokomenuchi) sind aber heutzutage bei gewalttätigen privaten Streitereien unüblich. Es wird eher geboxt, getreten oder mit Messern zugestochen. Schon allein deswegen ist Aikido keine moderne Selbstverteidigung.

Die wesentliche Änderung am Aikijūjutsu, welche Ueshiba Morihei vorgenommen hat, war der Zweck der Techniken. Es sind nun Übungen, um gewisse körperliche und mentale Fähigkeiten zu erlernen, zu entwickeln und zu pflegen. Insbesondere soll eine friedliche Einstellung und ein friedlicher Umgang mit der Lebensumwelt geübt werden.

Zum Thema Techniken sagte Yoshigasaki Sensei unter anderem: "A technique is a fixed form in a fixed environment to reach a fixed goal. If you want to apply a technique in the real world, you have to adjust it because the environment is changing in the real world. ... Learning techniques helps you to act better in your real life."
"Eine Technik ist eine festgelegte Form in einer festgelegten Situation. Will man sie in der echten Welt benutzen, muss man sie anpassen, denn die Situationen sind anders. ... Wenn man Techniken lernt, hilft es einem, im Leben besser zu agieren." Der letzte Satz zeigt, dass das Üben von Aikidotechniken vielfältige Ziele und Wirkungen haben kann.

Im Dojo sollte man als Erstes die Übungssituation akzeptieren.
Der Angriff ist genau vorgegeben und sollte auch so ausgeführt werden. Die darauf folgende Technik sollte sinnvoll, präzise und wirksam sein.
Auf dieser Basis lassen sich die Techniken üben und meistern, möglicherweise mit dem Ziel " ... im Leben besser zu agieren."